Dienstag, 8. Januar 2013
Feuerfels (3)
Alice startet nachdenklich ihren Rechner. Wie beschreibt man einen Mann, der derart facettenreich und vielschichtig war? Wie fasst man ein Leben zusammen, ohne gleich ein ganzes Buch mit Lettern, Sätzen, Fakten, Geschichten und Erlebnissen zu füllen? Zögernd beginnt sie zu tippen.

Damian war in eine Unternehmerfamilie geboren worden. Seine Mutter war Französin, weshalb Damian zweisprachig aufwuchs und viel Zeit in Frankreich verbrachte. Große Teile seiner Familie lebten den jüdischen Glauben. Damian war jedoch, wie er selber sagte, weitestgehend religionsfrei groß geworden und offenbar war ihm weder die jüdische noch irgendeine andere Religion übergestülpt worden. Dennoch schien er sich im Hinblick auf die verschiedensten Weltanschauungen ziemlich gut auszukennen, ganz offenbar kannte er auch deren geschichtliche sowie politische Hintergründe und sonstigen Zusammenhänge, die Alice zwar interessant fand, solange Damian darüber referierte, sich aber kaum ansatzweise merken konnte. Jedoch fühlte er sich zu keiner Religion hingezogen, im Gegenteil, er stand ihnen nicht nur kritisch gegenüber, er verabscheute sie sogar.

Schon früh hatte Damian seine Leidenschaft für den Sport entdeckt. Die Liebe zu Pferden und zum Reiten hatte er, wie er sagte, von seinem Vater, aber auch sonst brauchte er die Bewegung offenbar wie die Luft zum atmen. Das war bis heute so. Er war Sportler, durch und durch. Körperbeherrschung war Passion für ihn. Er hatte ihr erzählt, dass er lange aktiv Karate als Leistungssport betrieben hatte. Als es soweit war eine Berufswahl zu treffen, hatte er sich schwer getan zu entscheiden. Bestimmt hätte ihm eine sportliche Karriere ebenso offen gestanden, wie die Möglichkeit, in das Unternehmen seines Vaters einzusteigen. Doch Damian hatte sich nach langem Überlegen für ein Psychologiestudium entschieden. Danach hatte es ihn in die Werbebranche verschlagen.

Inzwischen war er vielbeschäftigter Besitzer zweier Werbeagenturen und arbeitete oft von morgens bis nachts. Er liebte ganz offenkundig die kreativen Anteile seines Berufes und hatte, obwohl er immer die gigantische Oberflächlichkeit der Branche mokierte, großen Spaß an seiner Arbeit. Alice vermutete, dass das ein Grund mit dafür war, dass Damians Arbeits-Erholungsbilanz häufig sehr unausgewogen ausfiel. Natürlich hatte er auch einfach eine große Verantwortung und immer viel zu tun, aber, er hatte ihr auch mal gesagt, dass er das Gefühl, sich an der Grenze zu bewegen brauche und dass ihm das intensive Arbeiten zudem durchdringende Lebendigkeit vermittelte.

Damian schätzte die schönen Künste, liebte Musik und Malerei und scheinbar vielerlei Arten von Kreativität. Alice freute sich sehr darüber, einmal von ihm gelesen zu haben, dass er ihre Texte ebenfalls liebte. Er musizierte und komponierte selbst, auch wenn er dazu wohl nur sehr selten Zeit fand. Außerdem schrieb er satirische Texte und hatte sich irgendwann einmal auch politisch-satirisch auf Bühnen bewegt.

Alice wusste nicht mehr genau, wer von ihnen beiden sich mehr geziert hatte, dem jeweils anderen ein vollständiges Foto zu zeigen, doch nachdem sie schließlich ein paar Momentaufnahmen von Damian gesehen hatte, hatte sie ihren ersten Eindruck bestätigt gefunden. Das prägnanteste an ihm waren für Alice ganz klar seine dunklen Augen, die auf einem Bild auch einen Stich ins grüne aufwiesen, der Blick so wach und gleichzeitig tiefgründig, amüsiert humorvoll genauso wie ernst, besonnen und leidenschaftlich spontan gleichermaßen, gelassen und zurückgelehnt nur so lange bis er zum plötzlichen Sprung ansetzen wollte. Er war groß und durchtrainiert. Hin und wieder verglich sie ihn mit einem Panther, denn er machte einen kraftvoll geschmeidigen Eindruck auf Alice. Damians Gesicht war insgesamt markant und ausdrucksstark. Die Mundpartie wirkte leicht arrogant, was aber durch gleichzeitig erkennbare Freundlichkeit abgemildert wurde. Sein innerer Facettenreichtum spiegelte sich auch in seinem Äußeren wieder und Alice vermutete, dass er daran gewöhnt war Blicke auf sich zu ziehen.

Vor einigen Jahren war er bereits einmal verheiratet gewesen, und mit seiner Exfrau verbanden ihn, neben der Zeit, während der sie miteinander ge- und erlebt hatten, zwei außergewöhnlich hübsche, mittlerweile pubertierende Töchter. Alice las es gern, wenn er von ihnen sprach, sie mochte den fürsorglichen, von Liebe angefüllten Unterton sehr. Seine Kinder hatten einen ganz besonderen Stellenwert für ihn und gemeinsam mit Lilia, Damians gerade frisch gebackener, feenhaft schöner Ehefrau, würden sie sich bald zweier kleiner Geschwister erfreuen.

Alice mochte Lilia sehr, obwohl sie Lilia noch nie gesehen hatte. Auch die beiden Frauen chatteten regelmäßig miteinander und hatten schon einige Male zusammen telefoniert. Lilias offene, forsche und etwas übermütige Art gefiel Alice und sie spürte eine zunehmende Verbundenheit und einen gewissen seelischen Gleichklang zu der sensiblen und feinfühligen Lilia.

Damian hatte seine Beziehung zu Lilia nach einigen Jahren schließlich besiegeln wollen, denn obwohl die beiden im Grunde auch vorher schon ein Paar waren, hatten sie doch erst spät den offiziellen Beschluss gefasst, von nun an zu zweit durchs Leben zu gehen und das bisherige Miteinander, welches durch starke Freiheitlichkeit geprägt war gegen mehr Verbindlichkeit einzutauschen. Von Anfang an hatten die beiden sich zueinander hingezogen und auch bald nah und verbunden gefühlt. Mittlerweile war Lilia zu Damian gezogen und bald darauf schwanger geworden. Inzwischen hatten sie ihre Beziehung durch eine Hochzeit gekrönt. Alices Ansicht nach, passten Damian und Lilia ganz hervorragend zusammen und sie freute sich mit ihnen über die märchenhafte Entwicklung ihrer Beziehung.

Alice hört auf zu tippen. Sie glaubt, nun ein doch recht rundes Bild von Damian gezeichnet zu haben, und auch wenn es sicherlich noch jede Menge erwähnenswerte Details gab, beschließt sie, sich im nächsten Blogeintrag einem anderen ausgesuchten Thema zuzuwenden: Ihrem gemeinsamen BDSM.