Dienstag, 8. Januar 2013
Pendelschlag (4)
corona, 16:07h
Alice startet den Laptop: ihre Gedanken befinden sich im Gestern und versuchen Erinnerungen und Gefühle zu fassen zu bekommen und diese in Worte zu transformieren.
Anfänglich hatten sich ihre Chats vornehmlich um BDSM gedreht. Ein paar eigene Erfahrungen hatte Alice da ja durchaus, aber diese waren lange nicht so vielfältig wie die Damians. Dafür hatte sie aber tausend Fragen gehabt. Und von Beginn an war klar gewesen, wer in den Gesprächen den Ton angab. 'Wer fragt, der führt.' hieß es doch so schön. Nicht so in diesem Fall. Seine Art ein Gespräch zu führen erinnerte sie an einen Tänzer: Er gab den Rahmen vor, in dem man sich gemeinsam bewegte, er ließ ihr genügend Raum, ihre eigenen Bewegungen auszuführen, genügend Freiheit, ihre eigenen Schritte zu tanzen. Und doch bestimmte er wann und wie lange, bestimmte, wann er sie zurückzog, wann sie gemeinsam die Richtung wechselten und welche Schrittfolge gerade angesagt war. Seine Art zu führen hatte etwas Natürliches, etwas Geschmeidiges. Ganz offenbar wusste er genau was er tat und konnte mit Macht umgehen. Er gehörte weder zu der plumpen und fast bemitleidenswerten "KNIE NIEDER, SCHLAMPE"-Fraktion noch zu den Männern, die sie im Chat gelegentlich vorsichtig anspielten um ihre Reaktion zu testen und ihre Zustimmung abzuholen. Aber wie war er eigentlich stattdessen? Er war. Punkt. Seine Autorität blitzte nur hin und wieder durch. Humor gehörte zu seinen Eigenschaften, genauso wie Charme. Er verfolgte seinen eigenen Plan, machte sein Ding, war dabei aber gleichzeitig zugewandt und achtsam, einfühlsam sogar. Abgesehen davon fragte er auch, und zwar gründlich. Es gab wenig, was ihn nicht interessierte. Und wenn ihn etwas interessierte konnte er eine verbissene Hartnäckigkeit entwickeln, es zu erfahren. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es ihr auch nur ein einziges Mal gelungen war, eine seiner Fragen unbeantwortet stehen zu lassen. Weder Gegenfragen noch geschickte Ablenkungsmanöver konnten ihn von einem Thema abbringen, das seine Neugierde geweckt hatte. Manchmal ließ er einen Gedanken auch einfach vorübergehend ruhen, um dann irgendwann wieder darauf zurückzukommen und so doch noch seine Antwort zu bekommen. Ausdauernde Beharrlichkeit zeichnete ihn aus. Oft musste er aber gar nicht besonders nachbohren; Alice gehörte zu den Menschen, denen ein Stichwort oder eine kurze Frage genügte um in epischer Breite ihre Gedanken mitzuteilen. Sie war nicht nur an anderen Menschen interessiert, sie drehte sich auch immer wieder gern um sich selbst.
Aber nicht nur sie, auch er war in vielerlei Hinsicht durchaus mitteilsam, teilte zum Beispiel sein Wissen über BDSM oder seine besonderen Kenntnisse über die Menschen bereitwillig. Auch hinsichtlich seiner vielen unterschiedlichen Erfahrungen als Dom war er ziemlich redselig. Alice hatte es von Anfang an geliebt, ihm zuzuhören. Zuzulesen musste es heißen, denn seine Stimme kannte sie auch Monate nach ihrem ersten Chat noch nicht. Eine Zeit lang hatte sie regelrecht darauf gebrannt wenigstens seinen Tonfall und seine Aussprache kennen zu lernen und manchmal war es ihr so vorgekommen, als ob auch er gern einmal hören würde, wie sie eigentlich klang. Doch bisher war es leider zu keinem Telefonat gekommen, auch wenn er ihr manchmal spielerisch damit gedroht hatte, sie anzurufen, wenn sie nicht augenblicklich irgendeine seiner Aufforderungen umsetzte. Sie hatte sich fast danach verzehrt ihn endlich einmal zu hören und heimlich gehofft, er würde irgendwann einfach am anderen Ende der Leitung sein, wenn ihr Telefon klingelte, alleine um sie aus der Fassung zu bringen und zu genießen, sie eiskalt erwischt zu haben. Sie hatte sich sogar schon überlegt, was sie sagen würde, wenn er sie in einem ungünstigen Moment, in dem sie nicht allein war, erreichen sollte. Es gab Momente in denen sie so dermaßen versessen darauf war, dass das Verlangen sie fast zerriss. Trotzdem musste sie sich vorerst damit begnügen, seine Wortwahl und die Satzstellung im Chat lesen zu dürfen. Seine Eloquenz hatte sie allerdings auch dort schon mehr als gefesselt. Sie liebte Worte. Besonders dann, wenn jemand mit ihnen umgehen konnte. Im Grunde war sie schon bei ihrem ersten Kontakt in seine Dominanz hineingeglitten. Irgendwie hatte er direkt einen Nerv getroffen. Der Wunsch zu folgen war schon so lange sie denken konnte ihr Begleiter, so dass sie sich hin und wieder gefragt hatte, ob es vielleicht bloß ihre eigenen Bedürfnisse sowie ihre Projektionsfähigkeit waren, die ihn so außerordentlich interessant machten und so passend erscheinen ließen. Aber so hatte es sich nicht angefühlt. Es war wohl vielmehr die intensive Wechselwirkung zwischen ihrem Wunsch und ihrer Bereitschaft sich zu fügen, sich hinzugeben und seiner mit Vertrauenswürdigkeit gepaarten Stärke. Sie hatte schon lange intuitiv gewusst, dass sie sich einfinden können würde, dass sie einem entsprechenden Gegenüber folgen könnte, ihre schwache Seite ein Stück weit zulassen können würde, obwohl sie sehr oft gegen sie ankämpfte. Doch die tatsächliche Erfahrung war neu für sie. Neu und alternativlos. Sein Weg, oder eben kein Weg. Und doch achtete er ihren Weg, manchmal sogar mehr als sie selbst. Eigenartigerweise hatte er sich von Anfang an vertraut angefühlt. Es kam ihr vor, als hätte sie schon lange auf die Begegnung mit ihm, ja, auf ihn gewartet. Deshalb hatte es sie auch nicht wirklich gewundert, dass diese einzigartige Beziehung mehr war als ein bloßes Dom-Sub Verhältnis. Der magische Anteil an ihm, das Spirituale ihrer Beziehung kam ihr seltsam normal vor. Es hatte sie sogar fast weniger gewundert als die eigenartige Sachlage, dass sie sich von ihm dominieren ließ, dass sie tatsächlich seine Anweisungen umsetzte, wirklich seine Befehle befolgte.
Sie blickt auf. Das Gefühl, gerade gar nicht über sich selber zu schreiben macht sich in ihr breit. Kann das denn wahr sein? Kann es möglich sein, dass jemand Aufforderungen einer Person umsetzt, die er nicht einmal gesehen hat; deren Stimme er nicht einmal kennt? Alice muss lachen. Natürlich konnte es wahr sein. Es konnte nicht nur, nein, es WAR. Es war ein ganz realer Fakt. Nicht jemand, sondern sie, Alice, führte aus, was Damian von ihr verlangte. Und das, obwohl viele Kilometer sie trennten. Irre. Total irre. Aber es gefiel ihr, soviel stand fest. Er war aber auch zu geschickt. Alice wendet sich wieder der Tastatur zu, denn sie will versuchen festzuhalten und zu erklären wie er es eigentlich genau angestellt hatte, sie nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
Eine seiner ersten Ansagen an sie war der sadistische Befehl zu warten gewesen. Alice hasste es zu warten. Geduld hatte noch nie zu ihren Stärken gehört. Aber in diesem speziellen Fall war es besonders misslich. Sie war wegen einer Frage an ihn ganz aufgeregt, hatte danach gefiebert, seine Antwort zu lesen. Und Damian hatte ihre hektische Neugierde schamlos dazu benutzt, ihr drängelndes Generve in mehr oder weniger geduldiges Abwarten zu verwandeln. Er hatte einfach verkündet, dass Alice seine Antwort erst dann erhalte, wenn sie ruhig und geduldig sei und nun erstmal ein paar Minuten warten würde. Süffisant grinsend (das hatte sie nicht sehen können, aber sie war dennoch sicher, dass es so war) hatte er hinzugefügt, dass es eine seiner Spezialitäten sei, Frauen zur Geduld zu erziehen. Als sie in der ersten Wartephase angefangen hatte zu maulen, hatte er einfach kurzerhand um einige Minuten verlängert. Mistkerl, elender! Wie gern hätte sie da gezetert und genölt oder ihn wenigstens mit stetiger Nachbohrerei weichgenervt. So saß sie da allein mit ihrem Ärger und musste den auch noch soweit im Zaum halten, dass er zumindest nicht vulkanartig aus ihr heraus brach und im Chat lesbar wurde. Doch was war ihr anderes übrig geblieben als einzulenken? Damain hätte sie mit Vergnügen noch eine Weile mit warten müssen gequält. Irgendwann wär's ihm zu bunt geworden und er hätte das Thema entweder zu den Akten gelegt oder den Chat verlassen; vielleicht auch beides. Wenn sie also Wert auf seine Antwort legte, und das tat sie, musste sie ihm Folge leisten. Also hatte sie versucht sich 'runterzufahren und möglichst widerspruchslos abzuwarten. So hatte sie dann ihre Antwort tatsächlich erhalten, obwohl sie ihm auch durchaus zugetraut hätte, das Thema mit sadistischer Freude trotzalledem noch zu verschieben.
Ein anderes Mal hatte Damian sie dazu gebracht, täglich ein paar Minuten auf Zehenspitzen zu laufen; etwas, was sie bis heute befolgte. Es war um Highheels gegangen, eine ganz offenkundige Vorliebe Damians, welche Alice aber nicht geteilt hatte. Sie war nicht besonders wild darauf sich die Knochen zu brechen, nur um ein paar Zentimeter größer durch die Welt zu staksen. Außerdem knickte sie auch in flachen Schuhen laufend aus heiterem Himmel um. Mit dieser Info hatte sie das Thema als erledigt betrachtet. Sie. Er nicht. Damian war der Ansicht, dass dieses Problem behebbar sei und hatte angekündigt, dass er sie bei einem realen Treffen in jedem Falle so aufknüpfen würde, dass Alice auf Zehenspitzen würde stehen müssen. Also sei ab sofort tägliches Training für sie angesagt, welches sie auch besser durchführen würde. Denn, er würde sich vorführen lassen, wie gut und wie lange sie auf den Fußspitzen herumtippeln könne und das Ergebnis solle dann besser zu seiner Zufriedenheit ausfallen.
Alles andere wäre sehr ungünstig für sie. Obwohl zu dieser Zeit gar kein reales Treffen geplant war, ja, nicht einmal feststand, dass es je eines geben würde, war Damian ihr sehr überzeugend vorgekommen. Sie konnte nicht ausschließen ihn eines Tages wirklich zu treffen und sie war sich sicher, dass er das, was er soeben angekündigt hatte dann auch in die Tat umsetzen würde.
Was hatte er denn da eigentlich genau angekündigt? Bisher waren es nur vage Warnungen gewesen, nicht mal Drohungen. Was für eine perfide Methode! Er überließ es ihrem überaktiven Hirn, sich in bedrohlich grellen Farben auszumalen, was geschehen würde, wenn sie sich seiner Anweisung aufsässig widersetzte. Und er selber würde sich in jedem Falle platzieren wie Persil am Himmel, schließlich hatte er sie ja gewarnt. Sie konnte seine sarkastische Argumentation schon fast hören.
Außerdem hatte sie das starke Gefühl, dass er bei Gelegenheit ohnehin nachfragen würde, ob sie seine Anweisung befolgte und garantiert merken würde, wenn sie ihm dann nicht die Wahrheit sagte. Alice war der festen Überzeugung, dass er auch auf die Entfernung Mittel und Wege finden würde sie zu strafen. Also hatte Alice angefangen das Zehenspitzenlaufen zu trainieren. Nachdem sie nun ohnehin tat, was er verlangt hatte, war sie auch ziemlich neugierig welche Erfolge das bringen würde und hatte nach einiger Zeit beim Shopping ein paar Highheels anprobiert. Es war nicht zu fassen, da hatte dieser Schuft doch wieder einmal Recht behalten! Erstaunlich problemlos war sie durch den Laden stolziert, worüber sie sich so sehr gefreut hatte, dass sie die Schuhe kurzerhand kaufte.
Einmal hatte Damian sie gezwungen, ihr Profil mit einem eigens dafür ausgesuchten Bild zu verunstalten. Es zeigte ein scheußliches Huhn mit Kochlöffel in der geflügelten Hand. Oft nannte er sie Huhn oder Suppenhuhn und Schläge mit dem Kochlöffel hatte er ihr ebenfalls schon einige Male "versprochen" und sich darüber amüsiert, dass Alice versucht hatte ihm dieses unerotische Schlaginstrument auszureden- erfolglos übrigens. Er hatte sogar geplant dieses verdammte Teil mit ihr gemeinsam einzukaufen. Sie würde sich in Grund und Boden schämen, wenn er das wahr machte. Garantiert würde man ihnen ansehen, was da angedacht war. Warum sonst sollten ein Mann und eine Frau gemeinsam einen einzelnen Kochlöffel kaufen? Sie hoffte sehr, dass dieser Kelch an ihr vorüberging.
Klar war, dass seine Dominanz, seine Art BDSM zu zelebrieren in ihr eine starke Resonanz erzeugten.
Alice Blick fällt auf die Uhr. Mist! Klar war auch, dass sie nun keine Zeit mehr hatte. Hektisch speichert sie das Geschriebene und beendet für heute.
Anfänglich hatten sich ihre Chats vornehmlich um BDSM gedreht. Ein paar eigene Erfahrungen hatte Alice da ja durchaus, aber diese waren lange nicht so vielfältig wie die Damians. Dafür hatte sie aber tausend Fragen gehabt. Und von Beginn an war klar gewesen, wer in den Gesprächen den Ton angab. 'Wer fragt, der führt.' hieß es doch so schön. Nicht so in diesem Fall. Seine Art ein Gespräch zu führen erinnerte sie an einen Tänzer: Er gab den Rahmen vor, in dem man sich gemeinsam bewegte, er ließ ihr genügend Raum, ihre eigenen Bewegungen auszuführen, genügend Freiheit, ihre eigenen Schritte zu tanzen. Und doch bestimmte er wann und wie lange, bestimmte, wann er sie zurückzog, wann sie gemeinsam die Richtung wechselten und welche Schrittfolge gerade angesagt war. Seine Art zu führen hatte etwas Natürliches, etwas Geschmeidiges. Ganz offenbar wusste er genau was er tat und konnte mit Macht umgehen. Er gehörte weder zu der plumpen und fast bemitleidenswerten "KNIE NIEDER, SCHLAMPE"-Fraktion noch zu den Männern, die sie im Chat gelegentlich vorsichtig anspielten um ihre Reaktion zu testen und ihre Zustimmung abzuholen. Aber wie war er eigentlich stattdessen? Er war. Punkt. Seine Autorität blitzte nur hin und wieder durch. Humor gehörte zu seinen Eigenschaften, genauso wie Charme. Er verfolgte seinen eigenen Plan, machte sein Ding, war dabei aber gleichzeitig zugewandt und achtsam, einfühlsam sogar. Abgesehen davon fragte er auch, und zwar gründlich. Es gab wenig, was ihn nicht interessierte. Und wenn ihn etwas interessierte konnte er eine verbissene Hartnäckigkeit entwickeln, es zu erfahren. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es ihr auch nur ein einziges Mal gelungen war, eine seiner Fragen unbeantwortet stehen zu lassen. Weder Gegenfragen noch geschickte Ablenkungsmanöver konnten ihn von einem Thema abbringen, das seine Neugierde geweckt hatte. Manchmal ließ er einen Gedanken auch einfach vorübergehend ruhen, um dann irgendwann wieder darauf zurückzukommen und so doch noch seine Antwort zu bekommen. Ausdauernde Beharrlichkeit zeichnete ihn aus. Oft musste er aber gar nicht besonders nachbohren; Alice gehörte zu den Menschen, denen ein Stichwort oder eine kurze Frage genügte um in epischer Breite ihre Gedanken mitzuteilen. Sie war nicht nur an anderen Menschen interessiert, sie drehte sich auch immer wieder gern um sich selbst.
Aber nicht nur sie, auch er war in vielerlei Hinsicht durchaus mitteilsam, teilte zum Beispiel sein Wissen über BDSM oder seine besonderen Kenntnisse über die Menschen bereitwillig. Auch hinsichtlich seiner vielen unterschiedlichen Erfahrungen als Dom war er ziemlich redselig. Alice hatte es von Anfang an geliebt, ihm zuzuhören. Zuzulesen musste es heißen, denn seine Stimme kannte sie auch Monate nach ihrem ersten Chat noch nicht. Eine Zeit lang hatte sie regelrecht darauf gebrannt wenigstens seinen Tonfall und seine Aussprache kennen zu lernen und manchmal war es ihr so vorgekommen, als ob auch er gern einmal hören würde, wie sie eigentlich klang. Doch bisher war es leider zu keinem Telefonat gekommen, auch wenn er ihr manchmal spielerisch damit gedroht hatte, sie anzurufen, wenn sie nicht augenblicklich irgendeine seiner Aufforderungen umsetzte. Sie hatte sich fast danach verzehrt ihn endlich einmal zu hören und heimlich gehofft, er würde irgendwann einfach am anderen Ende der Leitung sein, wenn ihr Telefon klingelte, alleine um sie aus der Fassung zu bringen und zu genießen, sie eiskalt erwischt zu haben. Sie hatte sich sogar schon überlegt, was sie sagen würde, wenn er sie in einem ungünstigen Moment, in dem sie nicht allein war, erreichen sollte. Es gab Momente in denen sie so dermaßen versessen darauf war, dass das Verlangen sie fast zerriss. Trotzdem musste sie sich vorerst damit begnügen, seine Wortwahl und die Satzstellung im Chat lesen zu dürfen. Seine Eloquenz hatte sie allerdings auch dort schon mehr als gefesselt. Sie liebte Worte. Besonders dann, wenn jemand mit ihnen umgehen konnte. Im Grunde war sie schon bei ihrem ersten Kontakt in seine Dominanz hineingeglitten. Irgendwie hatte er direkt einen Nerv getroffen. Der Wunsch zu folgen war schon so lange sie denken konnte ihr Begleiter, so dass sie sich hin und wieder gefragt hatte, ob es vielleicht bloß ihre eigenen Bedürfnisse sowie ihre Projektionsfähigkeit waren, die ihn so außerordentlich interessant machten und so passend erscheinen ließen. Aber so hatte es sich nicht angefühlt. Es war wohl vielmehr die intensive Wechselwirkung zwischen ihrem Wunsch und ihrer Bereitschaft sich zu fügen, sich hinzugeben und seiner mit Vertrauenswürdigkeit gepaarten Stärke. Sie hatte schon lange intuitiv gewusst, dass sie sich einfinden können würde, dass sie einem entsprechenden Gegenüber folgen könnte, ihre schwache Seite ein Stück weit zulassen können würde, obwohl sie sehr oft gegen sie ankämpfte. Doch die tatsächliche Erfahrung war neu für sie. Neu und alternativlos. Sein Weg, oder eben kein Weg. Und doch achtete er ihren Weg, manchmal sogar mehr als sie selbst. Eigenartigerweise hatte er sich von Anfang an vertraut angefühlt. Es kam ihr vor, als hätte sie schon lange auf die Begegnung mit ihm, ja, auf ihn gewartet. Deshalb hatte es sie auch nicht wirklich gewundert, dass diese einzigartige Beziehung mehr war als ein bloßes Dom-Sub Verhältnis. Der magische Anteil an ihm, das Spirituale ihrer Beziehung kam ihr seltsam normal vor. Es hatte sie sogar fast weniger gewundert als die eigenartige Sachlage, dass sie sich von ihm dominieren ließ, dass sie tatsächlich seine Anweisungen umsetzte, wirklich seine Befehle befolgte.
Sie blickt auf. Das Gefühl, gerade gar nicht über sich selber zu schreiben macht sich in ihr breit. Kann das denn wahr sein? Kann es möglich sein, dass jemand Aufforderungen einer Person umsetzt, die er nicht einmal gesehen hat; deren Stimme er nicht einmal kennt? Alice muss lachen. Natürlich konnte es wahr sein. Es konnte nicht nur, nein, es WAR. Es war ein ganz realer Fakt. Nicht jemand, sondern sie, Alice, führte aus, was Damian von ihr verlangte. Und das, obwohl viele Kilometer sie trennten. Irre. Total irre. Aber es gefiel ihr, soviel stand fest. Er war aber auch zu geschickt. Alice wendet sich wieder der Tastatur zu, denn sie will versuchen festzuhalten und zu erklären wie er es eigentlich genau angestellt hatte, sie nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
Eine seiner ersten Ansagen an sie war der sadistische Befehl zu warten gewesen. Alice hasste es zu warten. Geduld hatte noch nie zu ihren Stärken gehört. Aber in diesem speziellen Fall war es besonders misslich. Sie war wegen einer Frage an ihn ganz aufgeregt, hatte danach gefiebert, seine Antwort zu lesen. Und Damian hatte ihre hektische Neugierde schamlos dazu benutzt, ihr drängelndes Generve in mehr oder weniger geduldiges Abwarten zu verwandeln. Er hatte einfach verkündet, dass Alice seine Antwort erst dann erhalte, wenn sie ruhig und geduldig sei und nun erstmal ein paar Minuten warten würde. Süffisant grinsend (das hatte sie nicht sehen können, aber sie war dennoch sicher, dass es so war) hatte er hinzugefügt, dass es eine seiner Spezialitäten sei, Frauen zur Geduld zu erziehen. Als sie in der ersten Wartephase angefangen hatte zu maulen, hatte er einfach kurzerhand um einige Minuten verlängert. Mistkerl, elender! Wie gern hätte sie da gezetert und genölt oder ihn wenigstens mit stetiger Nachbohrerei weichgenervt. So saß sie da allein mit ihrem Ärger und musste den auch noch soweit im Zaum halten, dass er zumindest nicht vulkanartig aus ihr heraus brach und im Chat lesbar wurde. Doch was war ihr anderes übrig geblieben als einzulenken? Damain hätte sie mit Vergnügen noch eine Weile mit warten müssen gequält. Irgendwann wär's ihm zu bunt geworden und er hätte das Thema entweder zu den Akten gelegt oder den Chat verlassen; vielleicht auch beides. Wenn sie also Wert auf seine Antwort legte, und das tat sie, musste sie ihm Folge leisten. Also hatte sie versucht sich 'runterzufahren und möglichst widerspruchslos abzuwarten. So hatte sie dann ihre Antwort tatsächlich erhalten, obwohl sie ihm auch durchaus zugetraut hätte, das Thema mit sadistischer Freude trotzalledem noch zu verschieben.
Ein anderes Mal hatte Damian sie dazu gebracht, täglich ein paar Minuten auf Zehenspitzen zu laufen; etwas, was sie bis heute befolgte. Es war um Highheels gegangen, eine ganz offenkundige Vorliebe Damians, welche Alice aber nicht geteilt hatte. Sie war nicht besonders wild darauf sich die Knochen zu brechen, nur um ein paar Zentimeter größer durch die Welt zu staksen. Außerdem knickte sie auch in flachen Schuhen laufend aus heiterem Himmel um. Mit dieser Info hatte sie das Thema als erledigt betrachtet. Sie. Er nicht. Damian war der Ansicht, dass dieses Problem behebbar sei und hatte angekündigt, dass er sie bei einem realen Treffen in jedem Falle so aufknüpfen würde, dass Alice auf Zehenspitzen würde stehen müssen. Also sei ab sofort tägliches Training für sie angesagt, welches sie auch besser durchführen würde. Denn, er würde sich vorführen lassen, wie gut und wie lange sie auf den Fußspitzen herumtippeln könne und das Ergebnis solle dann besser zu seiner Zufriedenheit ausfallen.
Alles andere wäre sehr ungünstig für sie. Obwohl zu dieser Zeit gar kein reales Treffen geplant war, ja, nicht einmal feststand, dass es je eines geben würde, war Damian ihr sehr überzeugend vorgekommen. Sie konnte nicht ausschließen ihn eines Tages wirklich zu treffen und sie war sich sicher, dass er das, was er soeben angekündigt hatte dann auch in die Tat umsetzen würde.
Was hatte er denn da eigentlich genau angekündigt? Bisher waren es nur vage Warnungen gewesen, nicht mal Drohungen. Was für eine perfide Methode! Er überließ es ihrem überaktiven Hirn, sich in bedrohlich grellen Farben auszumalen, was geschehen würde, wenn sie sich seiner Anweisung aufsässig widersetzte. Und er selber würde sich in jedem Falle platzieren wie Persil am Himmel, schließlich hatte er sie ja gewarnt. Sie konnte seine sarkastische Argumentation schon fast hören.
Außerdem hatte sie das starke Gefühl, dass er bei Gelegenheit ohnehin nachfragen würde, ob sie seine Anweisung befolgte und garantiert merken würde, wenn sie ihm dann nicht die Wahrheit sagte. Alice war der festen Überzeugung, dass er auch auf die Entfernung Mittel und Wege finden würde sie zu strafen. Also hatte Alice angefangen das Zehenspitzenlaufen zu trainieren. Nachdem sie nun ohnehin tat, was er verlangt hatte, war sie auch ziemlich neugierig welche Erfolge das bringen würde und hatte nach einiger Zeit beim Shopping ein paar Highheels anprobiert. Es war nicht zu fassen, da hatte dieser Schuft doch wieder einmal Recht behalten! Erstaunlich problemlos war sie durch den Laden stolziert, worüber sie sich so sehr gefreut hatte, dass sie die Schuhe kurzerhand kaufte.
Einmal hatte Damian sie gezwungen, ihr Profil mit einem eigens dafür ausgesuchten Bild zu verunstalten. Es zeigte ein scheußliches Huhn mit Kochlöffel in der geflügelten Hand. Oft nannte er sie Huhn oder Suppenhuhn und Schläge mit dem Kochlöffel hatte er ihr ebenfalls schon einige Male "versprochen" und sich darüber amüsiert, dass Alice versucht hatte ihm dieses unerotische Schlaginstrument auszureden- erfolglos übrigens. Er hatte sogar geplant dieses verdammte Teil mit ihr gemeinsam einzukaufen. Sie würde sich in Grund und Boden schämen, wenn er das wahr machte. Garantiert würde man ihnen ansehen, was da angedacht war. Warum sonst sollten ein Mann und eine Frau gemeinsam einen einzelnen Kochlöffel kaufen? Sie hoffte sehr, dass dieser Kelch an ihr vorüberging.
Klar war, dass seine Dominanz, seine Art BDSM zu zelebrieren in ihr eine starke Resonanz erzeugten.
Alice Blick fällt auf die Uhr. Mist! Klar war auch, dass sie nun keine Zeit mehr hatte. Hektisch speichert sie das Geschriebene und beendet für heute.