Donnerstag, 5. September 2013
Schmerzlust (10)
Mit mulmigem Gefühl startet Alice heute ihren Rechner. Sie wollte endlich verschriftlichen, welche gefürchtete Rechnung zwischen Damian und ihr noch offen war.

Zu Beginn ihrer Chats hatte Alice Damian zunächst hinsichtlich ihrer Identität belogen und war mehr als überrascht gewesen, dass er, als er davon erfuhr, kein großes Aufhebens darum gemacht hatte. Abgesehen von der Vereinbarung ihm ab sofort die Wahrheit zu sagen und dem Aufklären aller bisherigen Unwahrheiten hatte er das Thema zügig vom Tisch geräumt.

Das Aufklären aller bisherigen Unwahrheiten... Unwohl erinnert Alice sich daran, dass sie das Meiste zwar tatsächlich gerade gerückt hatte, in einer Sache aber an der Lüge festgehalten hatte. Obwohl Damian sie mehrfach gefragt hatte -unglaublich, wie er die verbliebene Lüge erahnt hatte- war sie bei dem falschen Vornamen geblieben, den sie ihm aufgetischt hatte.

Viele Wochen später waren sie aus Gründen, die Alice heute nicht mehr erinnerte, noch einmal auf diese Frage nach ihrem Vornamen zurückgekommen. Und dieses Mal hatte Alice die Lüge aufgeklärt, voller Angst, dass ihr Kontakt damit nun beendet sei. Damian war wirklich ziemlich sauer gewesen und hatte sie das auch deutlich spüren lassen.

Mit einem Alice nicht enden scheinenden Wechsel zwischen verhörenden, bohrenden Nachfragen und scharfen Zurechtweisungen hatte Damian sie heftig runtergeputzt. Nichts von dem was sie angeführt hatte konnte seine Wut mildern. Wie gern hätte sie diesen Fehler ungeschehen gemacht. Aber so sehr sie das auch beteuerte, Damian war mehr als verärgert. Sie hatte sich grauenvoll gefühlt. Winzig zusammengestaucht; es fühlte sich abscheulich an.

Das schlimmste für Alice war allerdings die Tatsache, dass er sich, nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hatte, zurückgezogen hatte. Sie hatte nicht gewusst, wann oder ob überhaupt wieder ein Kontakt stattfinden würde. Diese Art von Verbindungsabriss machte sie buchstäblich krank.

Sie beginnt zu frieren, während sie diese Erinnerung verschriftlicht.

Mit unbeschreiblicher Erleichterung hatte sie dann aber erlebt, dass er doch wieder mit ihr gechattet hatte. Zwar hatte er sie zunächst ein zweites Mal durch die Mühle gedreht und ihr mit harschen Fragen und einschneidenden Bemerkungen zugesetzt, aber schließlich ihre Unterhaltungen fortgeführt. Und unterhalten hatte er sich ganz sicher, als er ihr verkündet hatte, dass er sie für diese dreiste Lüge bestrafen würde.

Alice wird flau im Magen als sie daran zurückdenkt. Er hatte sie raten lassen, auf welche Weise sie dafür bezahlen würde. Himmel, war das demütigend. Wenigstens konnte er sie nicht sehen, aber auch so war es schlimm genug sich selber ausmalen zu müssen, welche Strafe sie wohl erwartete. Ganz zu schweigen davon, wie sehr sie sich überwinden musste ihre Ideen dazu in Worte zu fassen.

Einerseits wünschte sie sich, diese unleidliche Lüge mit einer Bestrafung aus der Welt schaffen zu können, andererseits fand sie es beschämend, die Details dazu erfragen zu müssen. Sie war auch nicht sicher, ob sie das alles überhaupt vorher wissen wollte. Garantiert würden die Gedanken daran sie nicht mehr loslassen. Nun, das half ihr auch nichts. Sie sollte es wissen, und bestimmt amüsierte er sich königlich bei der Vorstellung, dass sie dieses Wissen in Gedanken nun zäh von links nach rechts schob ohne es zerkauen oder beiseite legen zu können.

Die Erleichterung darüber, dass er sie strafen und nicht aussortieren würde überwog zwar deutlich, dennoch hasste sie diese Behandlung jetzt schon. Sie wand sich innerlich und gleichzeitig überschlugen sich die Bilder möglicher Strafen in ihrem Kopf. Mit Überwindung hatte sie dann begonnen, seine Pläne zu erfragen, nur um mit Schrecken festzustellen, dass der Gedanke an diese Strafe sie tatsächlich nicht mehr loslassen würde. Sie würde sich von schraubstockartigen Klauen umklammert fühlen, die sie erbarmungslos zwangen, sich immer und immer wieder den Ablauf der Bestrafung auszumalen.

Er würde sie für die Namenslüge über einen Bock fesseln und mit dem Stock schlagen. Sogar die Anzahl der Schläge hatte er schon festgelegt. Unfassbare zwanzig Schläge sollten es werden. Alice durfte gar nicht daran denken. Er hatte ihr schließlich ziemlich detailliert beschrieben wie die Strafe ablaufen würde. Sie sah sich schon Rotz und Wasser heulen vor Peinlichkeit, Schmerz, Schuldegefühlen und Aufregung. Sie hatte auch ziemliche Angst vor dem Stock.

Wie sehr würde es weh tun? Damian war sicher nicht zimperlich. Sie dagegen schon. Mist, Mist, Mist. Elender Mist. Sie versuchte sich zu beruhigen. Er war kein hemmungsloser Frauenverdrescher, der ohne Sinn und Verstand und ohne Rücksicht auf Verluste zuschlagen würde. War also alles gut. Alles gut? Sie lachte hysterisch auf. Er wollte sie strafen, nicht streicheln. Und er würde ihr weh tun. Das war Sinn der Sache. Er würde sie zwar dosiert und gezielt schlagen, aber es würde weh tun. Der Stock tut nun einmal weh, wenn er ihr damit nicht gerade eine Liebeserklärung auf den Allerwertesten schrieb. Verdammt. Garantiert würde sie flennen.

Wie gern hätte sie in der Situation ein Taschentuch... Die Vorstellung, hilflos und mit Rotznase über dem Bock liegen zu müssen und sich nichtmal die Nase putzen zu können erfüllte sie mit Scham. Was für eine peinliche Situation... Und gleichzeitig so trostlos... Unvorstellbar, eigentlich, aber ihr verfluchtes Hirn konnte nicht damit aufhören ihr Bilder davon zu senden. Sie hatte verbissen versucht, Damian zu überreden ihr das Taschentuch zuzugestehen, und nach langem und mühevollem Verhandeln sogar kurz das Gefühl gehabt er würde weich und ihrer Bitte zustimmen. Doch da hatte sie sich wohl getäuscht, denn Damian hatte es sich offen gehalten, ob er ihr das gewünschte Taschentuch gewähren würde.

Na toll, er lag ja auch nicht da und tropfte unkontrolliert vor sich hin! Was stellte der sich so an wegen eines simplen Taschentuches? Jeder normale Mensch putzte sich die Nase wenn dies nötig war, und genau so wollte sie das auch halten! Meistens himmelte Alice Damian an, aber es gab Momente, in denen sie ganz sicher war, dass sie ihn bald auch leidenschaftlich hassen würde!

Gleichzeitig griff erneut Angst nach ihr. Wie sehr würden diese Schläge schmerzen? Würde sie überhaupt zwanzig von ihnen aushalten können?

Achja, verdammt, auch das noch! Wie hatte sie das nur vergessen können? Zu allem Übel würde sie, während Damian sie schlug, seinen Schlüsselbund festhalten müssen. Sie hatten lange darüber diskutiert, obwohl die Tatsache, dass sie das blöde Ding festhalten würde, im Grunde nie wirklich zur Debatte stand. Er bestand darauf, dass sie diesen Gegenstand in der Hand behalten würde, um ihn im Notfall fallen lassen und damit die Situation abbrechen zu können.

Das war ja grundsätzlich auch richtig und wichtig. Falls sie tatsächlich aus der Situation aussteigen wollte, musste das möglich sein. Sie hatte der Strafe und dem Schmerz im Vorfeld zwar freiwillig zugestimmt, aber niemand konnte wissen, ob die Qual nicht doch zu groß würde und sie stoppen wollte. Dazu sollte der Schlüssel dienen. Sobald sie ihn loslassen würde, würde Damian die Strafe abbrechen.

Alice war noch nie besondere Freundin des in BDSM-Kreisen vielgerühmten Safeworts gewesen. Mal abgesehen davon, dass es ihr eine Macht gab, die sie in der Situation nicht wirklich haben wollte, war sie der festen Überzeugung, dass Probleme in einer Session auch ohne dieses Konstrukt kommunizierbar seien. Und die angebliche Notwendigkeit eines Schlüssels wollte sie erst recht nicht begreifen. Wenn wirklich etwas eintreten würde, was einen Abbruch ihrerseits erforderlich machte könnte sie das doch sagen?

"Mir wird schlecht" oder "Ich hab einen Krampf im kleinen Zeh" sprach man doch von ganz alleine aus? Ein Safewort konnte sie ja fast noch verstehen, falls die Schläge mal wirklich unerträglich würden. Aber auch da dachte sie im Grunde, das sei an Tonfall und Wortwahl deutlich ablesbar. Er dachte anders.

Er sah das ganze einerseits als Schutz für sie, aber auch als den Teil, an dem sie Verantwortung für sich selbst übernahm. Also würde es genau so laufen wie er angekündigt hatte, sie würde das vermaledeite Teil umklammern; und zwar nicht zuletzt aus dem Grund, dass sie die Vorstellung einen Schlüssel festhalten zu müssen so hasste.

Im Grunde wäre auch kein Sicherheitsgegenstand wie der Schlüssel nötig gewesen. Den benutzte man eigentlich nur dann als Alternative zum Safewort, wenn ein Knebel oder ähnliches das Sprechen unmöglich machte. Aber da sie sich so vehement gegen seinen Einsatz gewehrt hatte würde sie ihn nun definitiv halten müssen, auch wenn eigentlich kein Knebel vorgesehen war.

Was für ein Arschloch! Als ob die Situation nicht schon ätzend genug für sie werden würde! Was, wenn sie das Ding versehentlich aus der Hand verlor?
Würde er das auch bestrafen? Zusätzlich? Wie lange würde das Ganze dauern? Wenn er auch nur annähernd so streng mit ihr sein würde, wie er es im Chat gewesen war würde sie sich sicher in die Hose struseln. Falls sie dann überhaupt eine an hatte... Himmel, diese Gedanken würden sie nicht mehr loslassen, bis es überstanden war, dessen war sie sicher.

Voller vorweggenommener wütender Verlegenheit beendet sie mit zorniger Furcht das Schreiben.